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Stößt der Nanokosmos das Tor zu schnelleren Computern auf?

    
von Dr. Fabian Sickenberger

erschienen am 03.12.2022 in der Badischen Zeitung, Freiburg
    
Für Normalsterbliche ist fast unvorstellbar, woran Wissenschaftler der Universität Regensburg momentan forschen. Unvorstellbar, weil es um die kleinsten und kürzesten Einheiten überhaupt geht: um den Nanokosmos. In dieser Welt geht es um Femtosekunden (das Millionstel einer Milliardstel Sekunde) und Nanometer (ein Millionstel Millimeter). Im Mittelpunkt stehen kleinste Quantenteilchen: Elektronen, Atome, Moleküle. Ein Versuch, das Unvorstellbare greifbar zu machen: Ein Wimpernschlag dauert rund 0,15 Sekunden, eine Femtosekunde nur 0,000000000000001 Sekunden. Anders ausgedrückt: Ein Wimpernschlag dauert 1500 Billionen Femtosekunden. In solchen Größenordnungen bewegt man sich in Regensburg, dieser beschaulichen bayerischen Stadt, in der der Regen in die Donau fließt.

Das Stichwort, um das sich dort alles dreht, lautet ultraschnelle Nanoskopie. 2016 gelang den Regensburger Forschern etwas bis heute weltweit Einzigartiges: Mit einem sogenannten Lichtwellen-Rastertunnelmikroskop hielten sie die Oszillation eines einzelnen Elektrons, also dessen Bewegung, in extremer Zeitlupe fest. Erstmals ließen sich Elementarteilchen nicht nur als Standbild, sondern filmisch beobachten. Seither schaut man in Regensburg nicht mehr nur dem Regen und der Donau, sondern auch der Quantenmaterie beim Fließen zu.

Das Resultat dieser Vermessung der Nanowelt könnten irgendwann Computer sein, die tausendfach schneller rechnen als alle bisherigen Geräte. Aber von vorne: Um fließende Materie im Video zu betrachten, braucht es mehrere einzelne Standbilder, die zu einer Filmsequenz aneinandergereiht werden. Wie bei jedem Film oder Video – nur eben viel schneller. Bislang liegen rund 100 Femtosekunden zwischen den einzelnen Bildern, aus denen der Zeitlupenfilm besteht; besser für genaueste Erkenntnisse wäre ein Abstand von nur einer Femtosekunde. Damit dies gelingt, entsteht auf dem Regensburger Campus seit 2021 das Forschungszentrum „Regensburg Center for Ultrafast Nanoscopy“, kurz RUN. Kostenpunkt: rund 58 Millionen Euro, finanziert durch Bundes- und Landesmittel. Ab 2023 werden etwa 100 Forschende aus Chemie, Physik und Biologie hier einziehen. Um die ultraschnelle Nanoskopie so weit zu entwickeln, dass sie entscheidenden Einfluss auf unsere Zukunft hat.

Jan Wilhelm, theoretischer Physiker und ab 2023 Nachwuchsgruppenleiter an der Uni Regensburg, vergleicht den Status Quo und das Ziel so: „Es ist, als würde man ein Fußballspiel im Fernsehen anschauen, aber nicht mit 25 Einzelbildern pro Sekunde, sondern mit nur einem Bild alle vier Sekunden.“ Zur Erklärung: Fernsehbilder bestehen üblicherweise aus 25 einzelnen Bildern pro Sekunde. Erst durch die schnelle Aneinanderreihung dieser Bilder entsteht ein Bewegungseffekt – genau wie beim Daumenkino. Hierauf zielt Wilhelm ab: Bestünde das Fernsehbild nicht aus 25 Bildern pro Sekunde, sondern aus nur einem Bild alle vier Sekunden, würde es eher einer Diashow ähneln, ruckelig, statisch. Das wäre zwar kein Sehgenuss – den groben Ablauf und das Ergebnis aber bekäme man mit. Genauso verhält es sich mit der Nanoskopie: Die Regensburger wollen noch präziser werden. Um „die Welt auf Längen- und Zeitskalen zu erforschen, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat“. So formuliert es der Regensburger Experimentalphysiker Rupert Huber, Professor am Institut für Experimentelle und Angewandte Physik, der 2019 mit dem Leibniz-Preis, dem „deutschen Nobelpreis“, ausgezeichnet worden ist.

Nun könnte man meinen, das alles sei detailversessene Verbohrtheit. Weit gefehlt, sagt Huber: „Alle modernen Natur- und Lebenswissenschaften, Nano-, Bio- und Quantentechnologien sind auf ein genaues Verständnis des Nanokosmos angewiesen.“ Wenn man die sich ständig bewegenden Teilchen bestmöglich verstünde, ließen sich wichtige Technologien der Zukunft entwickeln, ist er überzeugt.

Ein zentraler Bereich dieser Zukunft ist für Huber, Wilhelm, ihre Kolleginnen und Kollegen die sogenannte Lichtwellenelektronik. Die Idee: Licht soll als Taktgeber für elektrischen Strom dienen. Beispielsweise werden schon heute Informationen beim High-Speed-Internet mithilfe von Licht in Glasfaserkabeln übertragen. Doch Licht könnte noch in weiteren Feldern der Informationsvermittlung genutzt werden. Der Datenfluss wäre auch dort um ein Vielfaches schneller. Genau wie Glasfaser eben viel schneller ist als Kupferkabel.

Das könnte die Entwicklung neuartiger Computer ermöglichen. Seit Mitte der 2000er Jahre stagnieren deren Taktraten, also die Anzahl der Rechenoperationen pro Sekunde. Handelsübliche Modelle werden deshalb nicht mehr schneller. Der Grund: Bei höheren Taktraten würden sich die Prozessoren zu stark erhitzen und das Material Schaden nehmen. Eine physikalische Grenze ist erreicht, an der es kaum mehr etwas zu rütteln gibt. Gelänge es jedoch, die Datenübertragung mit Hilfe von Lichtimpulsen statt wie bisher durch elektronische Impulse zu starten, könnten zukünftige Computer theoretisch tausendfach schneller sein.

Allerdings befinden sich solche auf der Quantenmechanik basierende Technologien noch in den Kinderschuhen. Was in Regensburg geschieht, fällt in die Kategorie Grundlagenforschung. Zuerst gilt es, die großen Unbekannten zu entschlüsseln: Neben der Frage, wie sich die Elektronen bewegen, wollen die Forscher herausfinden, welche Materialien ideal für dazugehörige Computerbauteile wären.

Denn die durch das Licht angeregten Elektronen müssten in entsprechenden Technologien auch weitertransportiert werden. Ein durch einen Lichtimpuls beschleunigtes Elektron, das sich beispielsweise auf einer Metalloberfläche befindet, wird relativ schnell wieder abgebremst, erklärt Jan Wilhelm. Die meisten Metalle – etwa Kupfer oder Gold – sind also schon mal raus. Doch welches Material wäre besser? Um diese Frage zu beantworten, wird in Regensburg nicht nur experimentiert, sondern auch im Bereich der Computergestützten Physik geforscht. „Wir simulieren die Bewegung der Elektronen am Computer mithilfe von Gesetzen der Quantenmechanik“, sagt Wilhelm. Durch Simulationen wollen sie bestimmen, durch welches Material nach Lichteinstrahlung ein besonders großer elektrischer Strom fließt. Mit diesem Wissen können die Forscher anschließend maßgeschneiderte Experimente durchführen. Ein Material könnte sich dabei als zielführend erweisen: sogenannte topologische Isolatoren. Sie verhalten sich an der Oberfläche wie ein Metall, im Innern sind sie isolierend. Die Regensburger Physiker konnten nachweisen, dass elektrischer Strom hier nach Lichteinstrahlung besonders lang fließt.

Rein theoretisch könnten Bauteile in Computern also irgendwann einmal so aussehen: Innerhalb der Prozessoren beschleunigen fokussierte Lichtimpulse Elektronen, wodurch Strom entsteht, der durch einen topologischen Isolator fließt. Solche Computer hätten eine kaum vorstellbare Rechenleistung.

Doch bis es soweit ist, müssen viele Hürden überwunden werden. Etwa die Überhitzung. Denn auch die Lichtwellenelektronik erzeugt Hitze – und die kann Technik zerstören. Deshalb muss erst noch eine Lösung her, wie die Lichtimpulse weniger Hitze produzieren.

Und wenn das nicht gelingt? Wenn wir in ein paar Jahrzehnten doch nicht mit Smartphones durch die Gegend laufen, die von Lichtimpulsprozessoren gesteuert werden? War die Entwicklung der ultraschnellen Nanoskopie dann umsonst? Nein, sagen beide Forscher. Das Wissen um den Fluss der Teilchen lasse sich vielfältig einsetzen. Zum einen ließe sich besser nachvollziehen, welche chemischen Prozesse bei der Photosynthese ablaufen – also bei jenem Vorgang innerhalb von Pflanzen, bei dem aus Kohlenstoffdioxid und Wasser Glukose und Sauerstoff entstehen. Dies wiederum könnte neue technologische Entwicklungen motivieren. Zweitens könnte man, wenn chemische Reaktionen femtosekundengenau beobachtet würden, womöglich auf Basis dieses Wissens unter Sonnenlichteinstrahlung Wasserstoff aus Wasser gewinnen.

Selbst wenn all das klappt, wäre es noch nicht das Ende der Fahnenstange, sagt Rupert Huber. Schon im RUN wolle man versuchen, „Zeitauflösungen bis in den Bereich von Attosekunden zu erreichen“. Das wäre dann, Achtung, mitrechnen: der milliardste Teil einer Milliardstel Sekunde. Die Zukunft wird schnell.


Computational Electronic Structure Theory

Contact:

Dr. Jan Wilhelm


Institute of Theoretical Physics
University of Regensburg
Universitätsstraße 31
D-93053 Regensburg