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Exkursion Polen - Tschechien 2015

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Gruppenfoto im Bus Die Exkursion "Der ländliche Raum im post-feudalen und post-sozialistischen Zeitalter: Eine Spurensuche in Polen und Tschechien" unter der Leitung von Dr. Natali Stegmann und Raffael Parzefall fand von 6. bis 14. Mai 2015 statt.

Die Idee zu dieser Exkursion geht auf eine Übung zurück, die Natali Stegmann unter Mitarbeit von Raffael Parzefall im Wintersemester 2013/14 unter dem Titel „Deutsche Besitzungen und deren Enteignung“ gehalten hat. Anlass dafür gab der reiche Aktenbestand zu diesem Thema im Fürst Thurn und Taxis Zentralarchiv, Regensburg. Diese Akten haben wir mit Studierenden durchgesehen, woraus eine Online-Broschüre mit Quelleninterpretationen entstanden ist.

Damals stellten wir uns die Fragen, was mit den einst enteigneten Gütern geschehen ist, wie es dort heute aussehen mag, wie wohl mit dem feudalen Erbe vor Ort umgegangen wird. Die Enteignungen der Zwischenkriegszeit hatten – das war uns schon damals klar geworden – eine nationalökonomische und teils auch sozialpolitische Stoßrichtung; sie waren ein Mittel der Umverteilung. Es ging in der Logik der neu entstandenen Nationalstaaten nicht vorrangig darum, die (unliebsamen) adeligen Großgrundbesitzer zu enteignen; es ging vor allem darum, deren Land neu zu verteilen und so möglichst auch für eine Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge zu sorgen; die neuen Machthaber verstanden dies als eine Modernisierungsmaßnahme.

Reiseroute

Die Reiseroute der Exkursion als PDF-Datei.


Essays

Bericht über Łódź: Fassaden, Ruinen und Gedenksteine von Ines Lange

Jüdische Spuren in Polen und Tschechien - ein Reisebericht von Felix Eckstein unter Mitarbeit von Johannes Frank

Petr Kučeras Geschichte von Nové Hrady von Johannes Frank

Ziele in Luže: Košumberk und die Wallfahrtskriche Mariahilf von Max-Ferdinand Röder

Der ländliche Raum in der Tranformationsphase: Polen von Sophia Kirschbaum und Victoria Gleich

Sonntagsbesuch von Xenia Vyhnalek und Melanie Zonderman


Gedichte von Johannes Frank

České Heřmanice

Kórnik

Kórnik II

Košumberk

Wrocław

Wrocław, Peter und Paul

Wrocław, Pieta

Zugfahrt

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Der ländliche Raum im post-feudalen und post-sozialistischen Zeitalter: Eine Spurensuche in Polen und Tschechien

von Natali Stegmann und Raffael Parzefall

Die Idee zu dieser Exkursion geht auf eine Übung zurück, die Natali Stegmann unter Mitarbeit von Raffael Parzefall im Wintersemester 2013/14 unter dem Titel „Deutsche Besitzungen und deren Enteignung“ gehalten hat. Anlass dafür gab der reiche Aktenbestand zu diesem Thema im Fürst Thurn und Taxis Zentralarchiv, Regensburg. Diese Akten haben wir mit Studierenden durchgesehen, woraus eine Online-Broschüre mit Quelleninterpretationen entstanden ist.[1]  Damals stellten wir uns die Fragen, was mit den einst enteigneten Gütern geschehen ist, wie es dort heute aussehen mag, wie wohl mit dem feudalen Erbe vor Ort umgegangen wird. Die Enteignungen der Zwischenkriegszeit hatten – das war uns schon damals klar geworden – eine nationalökonomische und teils auch sozialpolitische Stoßrichtung; sie waren ein Mittel der Umverteilung. Es ging in der Logik der neu entstandenen Nationalstaaten nicht vorrangig darum die (unliebsamen) adeligen Großgrundbesitzer zu enteignen; es ging vor allem darum, deren Land neu zu verteilen und so möglichst auch für eine Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge zu sorgen; die neuen Machthaber verstanden dies als eine Modernisierungsmaßnahme.

UnterwegsWenn wir nun heute mit den genannten Fragen im Kopf dort hinfahren, so stehen zwischen unserem Befund und dem Ist-Zustand mehrere weitere Regimewechsel, die ebenfalls mit Veränderungen der Besitzverhältnisse einhergingen und das Sozialgefüge je auf ihre Art prägten; zuletzt der Übergang vom Sozialismus zur Marktwirtschaft. Demnach richtet sich der Blick auf weitere Zusammenhänge, nämlich auf den Einfluss der späteren Eingriffe in die Eigentumsstruktur und nach dem Umgang mit dem Erbe insbesondere des Sozialismus. Hier liegen mehrere Schichten historischer Veränderungen übereinander, und die Vergangenheit kann uns in ganz unterschiedlicher Gestalt gegenüber treten, als Erzählung, als Gebäude, als Denkmal oder in Form einer Landschaft.

Uns interessieren daher nicht so sehr die vormaligen Besitzer und schon gar nicht deren vermeintliche Ansprüche, vielmehr geht es uns um den auf die Zukunft gerichteten Aspekt der Enteignungen und in der Erweiterung dessen um die Frage nach den sozialen Implikationen der fraglichen Vorgänge, nach den Alltagspraktiken und nach der Gedenkkultur. Im Mittelpunkt der Übung stand daher ganz allgemein gefasst die Frage der Enteignung und Aneignungen von Grundbesitz im 20. Jahrhundert. Eigentumswechsel fanden dabei nach dem Ersten Weltkrieg, während des Zweiten Weltkriegs, nach dem Zweiten Weltkrieg und nach 1989 statt. Vor diesem Hintergrund wollten wir nachverfolgen, wie durch die mit den Regimewechseln verbundenen Veränderungen in den Besitzverhältnissen der städtische und insbesondere der ländliche Raum sowie die Sozialordnung verändert wurden. Vor Ort sollte geklärt werden, ob und welche Spuren die feudalen und sozialistischen Besitzstrukturen (wie z.B. Gutshöfe, landwirtschaftliche Kollektive) hinterlassen haben. Vor allem stand der heutige Umgang mit den Überresten und Erinnerung an die Ordnung der vergangenen Regime und die damit verbundenen Veränderungen im Fokus.

Die „Spurensuche“ führte zunächst an unsere Partneruniversität nach Łódź, um dort mit Studierenden und Lehrenden der Regionalgeschichte, der Agrarsoziologie sowie der Politikwissenschaft zu Workshops, Vorträgen und Diskussionen zusammenzukommen und die Stadt mit ihrer industriellen und multinationalen Vergangenheit unter den genannten Gesichtspunkten zu erkunden. Anschließend unternahmen wir eine eintägigen Überlandfahrt mit dem Minibus der Uniwersytet Łódzki über die Orte Poznań, Kórnik sowie Krotoszyn in Großpolen nach Wrocław. Der Aufenthalt in Böhmen, der letzte Etappe der Exkursion, diente dazu in einem anderen Umfeld denselben Fragen nachzugehen, wobei wir dort noch mehr Gelegenheit hatten, die Stadt und Umgebung in ihren vielschichtigen Bezügen zu erfahren. Schon die Bahnreise nach Litomyšl sowie die Unterbringung im dortigen Schlosskomplex - seit 1999 UNESCO-Weltkulturerbe und ehemals im Besitz der Fürsten Thurn und Taxis – gaben uns einen Eindruck von der Nutzung der land- und forstwirtschaftlichen Flächen sowie der baulichen „Überreste“. Schließlich konnten wir unseren Blick bei Tagesausflügen in die Orte Nové Hrady, Košumberk und Luže sowie im Rahmen einer ‚Feldforschung’ in den beiden ehemaligen Meierhöfe und heutigen Dörfer Tisová und České Heřmanice weiter schärfen.

Regionalverkehr

Eine der Ideen dieser Exkursion war es, dorthin zu fahren, wo die Geschichte noch nicht für den Besucher aufgearbeitet wurde, eben auf das Land. Sehr schnell wurde jedoch klar, dass eine studentische Exkursion nicht dorthin führen kann, wo es nicht ein Mindestmaß an (touristischer) Infrastruktur gibt. Zumindest nicht, solange sie nicht eine Grabung oder tatsächlich eine (kulturanthropologische) Feldforschung bezweckt (und beides würde sehr viel mehr Zeit in Anspruch als wir hatten). So ergab es sich aus den Bedingungen des Reises selbst, dass wir in Städten übernachteten und von dort mit dem Minibus oder mit der Regionalbahn weg- oder weiterfuhren. Auf diese Art wurde auch das Reisen an sich zu einer wichtigen Erfahrung, sei es per Bus, per Bahn oder zu Fuß.

Mittwoch, 6. Mai

Nach der Anreise per Flugzeug nahm uns Frau Agnieszka Łukawska als Vertreterin der Universität Łódź in Empfang und es erfolgte anschließend der Transfer zum Hostel „Szkolne Schronisko Młodzieżowe“. Bei einer ersten Erkundung der Stadt Łódź, die von Dawid Saj, Student an der Fakultät für Wirtschaft und Soziologie, organisiert wurde, zeigten sich bereits die Relikte ihrer industriellen Vergangenheit [Essay Lange]. Als Beispiel für eine gelungene Umnutzung einer ehemaligen Textilfabrik wurde das heutige Einkaufszentrum „Manufaktura“ besucht. Am Abend hielten wir eine Seminareinheit im Hostel ab.

Foto 1 _lodz. Ogrodowa.jpegŁódź kosciol

Łódź, Ul. Ogrodowa und Łódź kosciol sw. Jozefa

 

Donnerstag, 7. Mai

Foto 3 Begr _ _ung Durch Prof. Wysoinka _links .jpegZu Beginn des ersten Tages begrüßte zunächst die Vize-Dekanin der Fakultät für Wirtschaft und Soziologie Dr. hab. Jolanta Grotowska-Leder sowie die Prorektorin Prof. Dr. Zofia Wysokińska  der Universität Łódź (Prorektor ds. współpracy z zagranicą UŁ) die Gruppe der Uni Regensburg. Anschließend referierten Dr. Katarzyna Zajda und Dr. Andrzej Pilichowski, beide von der Fakultät für ländliche und urbane Soziologie (Katedra Socjologii Wsi i Miasta) über "Land ownership and social structure of rural areas in the process of transformation". Sie betonten und erklärten vor allem die heterogene Entwicklung des ländlichen Raums in Polen und verwiesen hierbei auf die unterschiedlichen Besitzverhältnisse [Essay Kirschbaum, Gleich], die – wie sich dabei zeigte – großenteils aus den historischen Gegebenheiten resultieren. In einem zweiten Vortrag an diesem Tag sprach Prof. Dr. Jerzy Krzyszkowski von der Fakultät für Arbeits- und Sozialpolitik (Katedra Pracy i Polityki Społecznej) zum Thema "Social and Professional Situation of Rural Women in Poland". Er stellte fest, dass im ländlichen Bereich, besonders in der kommunalen Verwaltung, Frauen immer häufiger einflussreiche und zuvor von Männern dominierte Positionen einnehmen. Dieses Engagement begünstige die weitere Entwicklung der ländlichen Region.

Agnieszka UcinskaIm Anschluss zeigte uns Agnieszka Łukawska – nachdem wir nach dem ehemaligen Ghetto Litzmannstadt gefragt hatten – auf einer spontanen Rundfahrt den „Park der Überlebenden“ (Park Ocalałych), das „Dialog-Zentrum Marek Edelmann“[2] sowie das Denkmal zum Andenken an das Martyrium der Kinder (Pomnik Martyrologii Dzieci) am Ort des Kinder-Ghettos, das wie sie uns erklärte, das gebrochene Herz einer Mutter darstellt. Abends besprachen wir wiederum die Vorträge und bereiteten den nächsten Tag vor [Essay Lange und  Essay Frank, Eckstein].

 

Freitag, 8. Mai

Gruppenfoto LodzAm zweiten Tag führte Prof. Krzysztof Woźniak vom Institut für Geschichte (Instytut Historii) mit seinem Vortrag „Łódź. Eine Stadt - vier Kulturen“ in die vielschichtige Stadtgeschichte ein, indem er das „synergetische“ Zusammenleben der Menschen jüdischer, deutscher, russischer und polnischer Herkunft in der Stadt analysierte. Der wirtschaftliche Aufschwung, vor allem im Bereich der Textilwirtschaft – Łódź galt als „Manchester der Ostens“ – ist auf diese Kooperation innerhalb der Bevölkerung zurückzuführen.

Teilnehmer Innen Des WorkshopsEin überaus aktuelles Thema stand im Mittelpunkt des Workshops am Nachmittag. Unter der Leitung von Frau Dr. Anna Patecka-Frauenfelder von der Fakultät für internationale und politische Studien (Katedra Badań Niemcoznawczych) beschäftigte sich die Gruppe zusammen mit polnischen Studenten mit der „(Ohn)macht der Stereotype (Deutsche und Polen) angesichts des Konflikts in der Ukraine.“ Eine mögliche militärische Präsenz sowie eine entschiedenere Politik Deutschlands waren die Forderungen, die sich in der polnischen Bevölkerung derzeit ausmachen lassen.

In einer abschließenden Tour, die von der Fotografin Agnieszka Ucińska geleitet wurde, besuchten wir Teile des jüdischen Ghettos Litzmannstadt [Essay Frank, Eckstein], den Standort des ehemaligen Synagoge von Łódź, die Holocaust-Gedenkstätte auf dem Gelände des Bahnhofs Radegast, fuhren beim den jüdischen Friedhof vorbei [Essay Frank, Eckstein] und schließlich verschiedene ehemalige Fabrikgelände und die dazugehörigen Villen der Besitzer, die heute entweder eine moderne Nutzung erfahren oder verfallen. Erneut wurde am Abend in einer Seminar-Sitzung das absolvierte Tagesprogramm nachbereitet [Essay Lange].

Samstag, 9. Mai

Auf dem Weg von Łódź nach Wrocław fuhren wir mit dem Minibus über Poznań, Kórnik und Krotoszyn. In Poznań war das Stadtzentrum das Ziel, wogegen wir in Kórnik das neogotische Schloss samt Arboretum besuchten, das 1924 vom damaligen Besitzer dem polnischen Volk vermacht worden ist und heute ein Museum und die 1826 von Titus Działyński begründete Bibliothek beherbergt.[3]

KornikKrotoszyn

Kórnik und Krotoszyn

Kórnik stellt eine perfekte romantische Umgebung dar. Daher soll an dieser Stelle auf die Exkursionsgesichte von Johannes Frank hingewiesen werden [Gedichte Frank]. Diese bilden ebenso wie auch die Fotos, die größtenteils von Ines Lange sind, unsere Exkursion auf einer zweiten und dritten Ebene ab.

In Krotoszyn begaben wir uns auf die Suche nach Spuren von feudalen Besitzstrukturen, besaß doch das Haus Thurn und Taxis bis zur polnischen Bodenreform in der Zwischenkriegszeit dort großen Grundbesitz. Vereinzelt lassen sich Hinweise auf die vor allem landwirtschaftliche Nutzung finden; die Stadt selbst offenbart jedoch auf den ersten Blick nichts von der feudalen Vergangenheit.

Im Anschluss fuhr die Gruppe weiter nach Wrocław, wo wir am Abend im Hostel eintrafen und uns sogleich zu einer ersten Erkundung der Stadt aufmachten.

Sonntag, 10. Mai

Der Tag stand den Teilnehmern für ein frei gestaltetes eigenes Programm zur Verfügung, das sie nach Möglichkeit dokumentieren sollten. Dies ist nur zum Teil gelungen, war doch der Vorabend ein Samstag, den einige für ein entsprechendes Nachtprogramm genutzt hatten. So erkundeten einige von uns Wrocław [Essay Frank, Eckstein] und zwei Studentinnen die Umgebung [Essay Zonderman, Vyhnalek].

 

Montag, 11. Mai

Gleise nach MiedzylesieRaps In Polen

Miedzylesie und Raps in Polen

Das nächste Ziel der Exkursion war Litomyšl in Böhmen; so fuhren wir mit der Regionalbahn von Wrocław südlich über Kłodzko, Ústí nad Orlicí und Choceň nach Litomyšl. Unterwegs fielen die weitläufigen und häufig mit Raps bepflanzten landwirtschaftlichen Flächen auf, sodass von einer intensiven Nutzung ausgegangen werden kann. Hier konnte man die stadtnahen Dörfer, die in den letzten Jahrzehnten Gegenstand konsumorientierter Lebensentwürfe geworden sind [Essay Kirschbaum, Gleich] sowie die Mischung aus Modernisierung und Zerfall in den Dörfern auf der Strecke erkennen.

Litomysl Hostel Blick Auf Schloss

Die Gruppe war im „Evropské školicí centrum“ untergebracht, das sich im ehemaligen Brauhaus des Schlosskomplexes Litomyšl befindet. Die Herrschaft Litomyšl, der Schlosskomplex und die dazugehörigen land- und forstwirtschaftlichen Flächen samt Gebäuden, war im Jahr 1855 von den Fürsten Thurn und Taxis im Wege einer Versteigerung erworben und neben dem Komplex in Chotěšov und den Besitzungen in Chroustovice, Předhradí (bis 1950 Rychmburk) sowie Košumberk zu einem weiteren Besitzkomplex mit annähernd 7000 ha ausgebaut worden. In der Mauer, die den Schlosspark umgibt, steht noch eine Statue des St. Clementis, im Jahr 1878 von Fürst Maximilian Maria von Thurn und Taxis gestiftet. Im Zuge der tschechoslowakischen Bodenreformen in der Zwischenkriegszeit sowie nach 1945 wurde das Haus Thurn und Taxis enteignet, daher war eine „Spurensuche“ vor Ort vielversprechend.

Das Schloss von Litomysl mit dem Denkmal von Thurn und Taxis.

Das Schloss von Litomyšl mit dem Denkmal von Thurn und Taxis

Dienstag, 12. Mai

Nove HradyAn diesem Tag sollten die Spuren feudaler oder sozialistischer Besitzstrukturen in der Umgebung von Litomyšl erforscht werden. Die Erkundungstour wurde von Vladislav Kryl, später zusammen mit seiner Frau Dana Christianová, geleitet, die beide Restauratoren für Steinarbeiten sind. Als erste Etappe erreichten wir Nové Hrady, das wegen seines Parks auch „böhmische Versailles“ genannt wird.[4] Die heutigen Besitzer, Petr Kučera und seine Frau Magda, kauften im Zuge der Privatisierung in den neunziger Jahren dieses Rokokoschloss, das die Vorbesitzer kurz zuvor durch die Restitution erhalten hatten, und renovierten es [Essay Frank].

Gruppenfoto Burg KosumberkIn Košumberk, dem nächsten Ziel der Erkundung, existiert heute noch ein Burgkomplex, dessen dazugehörige land- und forstwirtschaftliche Nutzflächen damals einen Teil der Thurn und Taxis`schen Besitzungen in dieser Gegend ausmachten und gleichzeitig als ehemaliger Verwaltungssitz diente. Die Verbindung zum fürstlichen Haus als vergangener Großgrundbesitzer ist heute noch evident. Als letztes wurde der in Sichtweite zu Košumberk gelegene Ort Luže erkundet.

Neben der Wallfahrtskirche „Kirche der Jungfrau Maria“ [Essay Röder] fanden sich dort Spuren jüdischen Lebens, sowohl in Form einer zumindest als Gebäude erhaltenen Synagoge als auch eines außerhalb der Ortes gelegenen jüdischen Friedhofs [Essay Frank, Eckstein]. Um die Eindrücke des Tages zu besprechen, fand am frühen Abend eine Seminarsitzung im Stadtpark von Litomyšl, hinter der Piaristenkirche „Auffindung des hl. Kreuzes“, statt.

 

Mittwoch, 13. Mai

Der Vormittag war zur freien Verfügung und somit bot sich den Teilnehmern die Möglichkeit zur Besichtigung von verschiedenen Sehenswürdigkeiten in Litomyšl. So konnte man das Schloss selbst, den historischen Markplatz mit Häusern im Renaissance- und Barockstil oder die „Pfarrkirche der Heiligen Kreuzerhöhung“ besuchen. Zudem wurde ein ansässiges Antiquitätengeschäft zum Zielpunkt einiger Teilnehmer. Am Nachmittag stand ‘Feldforschung’ auf dem Programm und die Gruppe erkundete zu Fuß und mit dem öffentlichen Bus die beiden ehemaligen Meierhöfe und heutigen Dörfer Tisová und České Heřmanice. Beide gehörten zum land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitz der Herrschaft Litomyšl und umfassten zusammen rund 260 ha Fläche. Es fanden sich vereinzelt Gebäude, die auf eine ältere Nutzung als landwirtschaftliche Höfe hindeuteten. Zudem bildeten die heute noch existierenden weitläufigen und zusammenhängenden landwirtschaftlichen Nutzflächen eine ideale Basis für eine damals bereits intensiv betriebene Landwirtschaft.

Diashow Tisova: siehe unten

Die forstwirtschaftlichen Nutzflächen, aber auch die im 19. Jahrhundert angelegten Fischteiche in der Umgebung, sind noch vorhanden, auch wenn sich ihre Größe insgesamt verringert hat. Die Relikte der feudalen Besitzstruktur, wie Gutshöfe oder Nutzflächen, waren in den beiden Orten noch klar erkennbar und wurden zum größten Teil auch noch als solche genutzt.

Diashow Ceske Hermanice: siehe unten

Donnerstag, 14. Mai

Die „Spurensuche“ endete in Litomyšl respektive Böhmen. Die Rückfahrt von Litomyšl nach Regensburg erfolgte über Prag und Nürnberg.

 

Nachlese

Die zuvor erwähnte fortgesetzte Nutzung der landwirtschaftlichen Flächen weist trotz der Regime- und Eigentumswechsel auf Kontinuität hin. Die vergangene Zeit macht sich in den von uns besuchten böhmischen Dörfern nur am Alter der Gebäude bemerkbar. Dass diese noch stehen, zeugt ebenfalls von einer erstaunlichen Beharrungskraft der vormals angelegten agrarischen Strukturen. Bauern haben hier offenbar beständig Erträge erwirtschaftet, sei es auf eigene Rechnung, in Rahmen kollektivierter Landwirtschaft oder im Zuge der Re-Privatisierung. Das weist auf eine konstruktive Nutzung hin; die Destruktionen des 20. Jahrhunderts sind dort nicht ohne weiteres erkennbar. Dies deckt sich – nun wiederum im polnischen Fall – mit dem Befund der vormals erwähnten Kollegen aus der Agrarsoziologie, die darauf hingewiesen hatten, dass der ehemalige Großgrundbesitz in Nord- und Westpolen nach wie vor extensiv landwirtschaftlich genutzt wird und zu den produktivsten Flächen zählt; es waren dies auch die Regionen, in welchen die wenigen Kollektivwirtschaften Polens errichtet worden waren. Es ist dem Pragmatismus geschuldet, dass wir auf unserer Exkursion nicht die ost- und südpolnischen Landschaften besucht haben, die nicht nur ganz anders aussehen, sondern auch eine völlig andere Sozialstruktur aufweisen [Essay Kirschbaum, Gleich].

Der krasseste Gegensatz zu unserer Landpartie am letzten Tag war sicher die Stadt Łódź. Hier sind die Spuren der Regimewechsel und deren sozialen Folgen an jeder Ecke sichtbar und es gehört zum Charakter der Stadt, dass mit Kontrasten gespielt wird. [Essay Lange]

Dies betrifft nicht nur den Kontrast zwischen der ehemaligen Nutzung als Industriestadt und den heutigen Versuchen, auf deren Ruinen eine Kreativszene zu etablieren und Konsumlandschaften zu errichten. Die Stadt war vielmehr seit ihrer rasenden Expansion im 20. Jahrhundert insbesondere von sozialen Gegensätzen geprägt. Gegensätze und Brüche prägen das Selbstbild auch der Stadtbewohner, zumindest der Intellektuellen. Primärer Referenzpunkt dieser Identitätskonstruktion ist Władysław Reymonds Roman „Ziemia obiecana“ (Das gelobte Land, Erstveröffentlichung 1899) und dessen 1974 realisierte Verfilmung von Andrzej Wajda mit den starken Bildern eines brutalen Kapitalismus, des Mit- und Nebeneinanders von Menschen verschiedener sozialer und nationaler Herkunft. Die Helden dieses Films sind drei junge Männer, eine Pole, ein Jude und ein Deutscher, die grandios bei dem Versuch scheitern, mit der Gründung einer eigenen Fabrik reich zu werden und in dieser Eigenschaft als „Lodzermensch“ in Szene gesetzt werden. Und tatsächlich wurden uns der Film und die Idee des Lodzermensch von mehreren Professoren der Universität Łódź als Mittel eines besseren Verständnis der Stadt und ihrer Menschen nahe gebracht; einige stellten sich sogar selbst als Lodzermenschen vor. Auch Brüche und Kontraste können auf diese Art Orientierung bilden und als Stützen eines lokalen Identitätskonstrukts dienen.

Łódź war eine Stadt mit einer großen jüdischen Bevölkerung. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert bildete die jüdische einen wesentlich Teil der Stadtbevölkerung vor allem als Fabrikanten. Dies ist in der Wahrnehmung seither stets präsent geblieben. Das Andenken an das in Łódź errichtete Ghetto wird damit jedoch nicht sofort in Verbindung gebracht, und dies weist auf das komplizierte Verhältnis von lokaler Identität und internationaler Gedenkkultur. Die von uns besuchten Orte des Gedenkens sind zu einem großen Teil erst in den letzten 20 Jahren entstanden und dies in enger Zusammenarbeit mit den Überlebenden und mit Hilfe internationaler Spenden. Selbstverständlich wusste die Bevölkerung der Stadt auch in der Zwischenzeit um die Existenz des Ghettos; dies war aber Teil der Besatzungsgeschichte, einer Vereinnahmung durch Fremde; die dort zusammengepferchten Juden kamen aus ganz Europa. So blieb das ehemalige Ghetto nach dem Ende der Besatzungsherrschaft lange Zeit eine Brachfläche in der Stadt, welche im Sozialismus nicht mehr wuchs und nicht mehr zu ihrer alten Bedeutung zurück fand. Erst neuerdings wird Łódź auch zu einem Ort in der internationalen Gedenkkultur an die deutschen Verbrechen und den Holocaust. Die Geschichte von Enteignungen und Aneignungen im 20. Jahrhundert schließt die Entrechtung der Juden ein, eine Entrechtung, die heute allgemein als Vorstufe der Vernichtung gilt. Daher sind diese Enteignungs- und Aneignungsprozesse Bestandteil der Aufarbeitung dieses Verbrechens und Gegenstand der Wiedergutmachungsbemühungen, etwa im Zuge der Restitution. Dies ist die eine Ebene der vormals erwähnten Komplexität. Darüber hinaus impliziert die Gedenkkultur meist auch ein Stück weit Trauerarbeit und diese kann sich sehr unterschiedlich äußern. Auch wenn das jüdische Erbe in der Region nicht im Zentrum unseres Interesses stand, so war es auch durch die Nachfrage der Studierenden stets präsent. Man kann sagen, die Gedenkkultur funktioniert; und doch funktioniert sie ganz anders als die anderen Zeugen der Vergangenheit, die uns auf unserer Reise begegnet sind. Denn sie verweist auf einen brutalen Bruch und einen unwiederbringlichen Verlust.

Da diese Wahrnehmung im deutschen Kontext so dominant ist, fällt erst auf den zweiten Blick auf, dass das Gedenken an die Juden in aller Regel auch ein postsozialistisches Gedenken ist. Denn der Sozialismus stellt in der post-sozialistischen Betrachtungsweise oftmals als ein zweites destruktives Element in der Geschichte dar. So verweist etwa am Ort der Synagoge von Litomyšl eine Gedenktafel auf die Zerstörung durch die Nationalsozialisten und die endgültige Preishabe durch die Kommunisten; Vladislav Kryl sagte uns über die Synagoge in Luže ebenfalls, sie sei von den Kommunisten dem Zerfall preisgegeben worden. Seine Arbeit als Restarator stellt sich dabei auch als eine Anknüpfung an die vorsozialistische Zeit, als eine Wiederherstellung dar, im Zuge deren das Erbe des Sozialismus verschwindet. Damit wird implizit der Sozialismus in der gleichen Art wie der Nationalsozialismus als eine Zeit der Destruktion präsentiert, und die Gegenwart positiv von beidem abgegrenzt. Diese Darstellung ist international anschlussfähig; dabei betrifft sich nicht nur das jüdische Erbe (auch unser Hostel in Litomyšl wurde mit EU-Geldern restauriert); hier wird aber die entsprechende Metaerzählung besonders deutlich. Reisen kann dabei auch dazu dienen, unter einer Oberfläche eine zweite Ebene zumindest zu erahnen. Und diese zweite Ebene wäre in unserem Fall die Vorgeschichte und der frühere Umgang mit dem Vorgefundenen.

 

 




  1. Fakultät für Philosophie, Kunst-, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften
  2. Institut für Geschichte

Lehrstuhl für Geschichte Südost- und Osteuropas

 

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